Umgang mit Leistungsdruck und dabei die Selbstbeherrschung bewahren
Erinnern wir uns an die Situation der Olympia-Fünfkämpferin, Annika Schleu, in Tokio. Die Goldmedaille war zum Greifen nahe, aber der Partner – das Pferd – machte einfach nicht mit und verweigert sich. Ist es Ihr Versagen? Nein. Zur Verdeutlichung: ein Pferd mit ca. 400 bis 1000 Kg – je nach Tier - lässt sich nicht gegen seinen Willen bezwingen. Somit ist ein:e Reiter:in chancenlos, wenn das Pferd nicht bereit ist, freiwillig mitzumachen. Der Anspruch, dass Reiter und Pferd sich innerhalb von 20 Minuten kennenlernen und akzeptieren, was den gegebenen Regularien entspricht, ist sehr hoch. Im Fall von Annika Schleu wurde sogar der Antrag auf Wechsel des Pferdes gestellt, da es sich während des Turniers bereits unwillig gezeigt hatte. Der Antrag wurde abgelehnt. Er entsprach nicht den Regularien. Zu sehen waren zwei Lebewesen, die nicht im Einklang, sondern überfordert waren. Beide sind verzweifelt, was man als Zuschauer unschwer erkennen konnte. Wäre es für Annika Schleu möglich gewesen, in einer so verzwickten und hoffnungslosen Situation die Selbstbeherrschung und den Kopf zu behalten, wären beide mit einer Goldmedaille der Sympathie vom Platz gegangen. Es hätte Annika Schleu eine enorme Kraftanstrengung und Beherrschung angesichts der zum Greifen nahen Goldmedaille gekostet. Es war ihr nicht möglich. Fairerweise möchte ich hinzufügen, dass die Trainerin sie permanent aufgefordert hat, weiterzumachen, anstatt sie zu ermuntern, aufzugeben und abzusteigen. Für dieses Desaster trägt die Trainerin also ein gutes Stück Verantwortung, abgesehen von ihrer viel kritisierten Aussage, „mal kräftig drauf zu hauen“. Was soll das bei 800 Kg und Panik bewirken?
Übertragen wir diese Situation auf die Wirtschaft. Auch hier gibt es Situationen, die am seidenen Faden hängen:
Sie haben es mit viel Diplomatie, Kompetenz und Empathie geschafft, das Mega-Geschäft, das Geschäft Ihres Lebens fast zum Abschluss zu bringen, doch es braucht noch eine weitere Kraftanstrengung, einen kleinen Umweg, eine Überzeugung mehr, um die Unterschrift des anderen zu erlangen. Oder, etwas kleiner: Sie haben eine beeindruckende, durchdachte, schlüssige Präsentation vorbereitet, um ein neues Projekt bewilligt zu bekommen. Der/Die Entscheider:in zögert, trotz Transparenz, Sinnhaftigkeit und Erfolgsversprechen. Sie verstehen nicht, warum gezögert wird. Ihnen gehen die Nerven durch, Sie verlieren Ihre Souveränität und das Geschäft oder die Bewilligung des Projektes ist geplatzt. Es ist manchmal nur ein fehlendes My der Beherrschung, das den Hebel zum Erfolg umlegt.
Anhand dieser und auch weniger spektakulärer Beispiele stellt sich die Frage: Wie können wir mit Leistungsdruck besser umgehen und unsere Selbstbeherrschung vergrößern, bzw. festigen? Können wir überhaupt daran arbeiten und unsere Nerven stählen?
Ja, wir können und wie viele Dinge, die wir im Leben lernen, ist es ein Prozess, der ein wenig Zeit und Geduld benötigt.
Sind Sie in der Lage, in solchen Hochspannungssituationen rational und überlegt zu bleiben? Es ist eine Typsache und eine Frage von Erfahrung. Denn Druck entsteht häufig durch mangelnde Erfahrung und fehlende Routine. Je häufiger Sie sich also herausfordernden und belastenden Situationen stellen, desto routinierter werden Sie, diese so gut wie möglich zu meistern. Es gehört also auch eine Portion Mut dazu, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und sich Herausforderungen zu stellen. Nur dann kommen Sie an die Goldmedaille oder an das Geschäft Ihres Lebens heran. Gehen Sie hingegen Druck und Stress aus dem Weg, werden Sie für solche Situationen nicht gerüstet sein. Der beschriebene Erfolg bleibt in weiter Ferne. Zu Erfahrung und Routine kommt Ihr Persönlichkeitstypus hinzu: Sind Sie gelassen oder aufbrausend, analytisch oder intuitiv, moderierend oder konfrontativ? Je nach Disposition wird der Verlust der Selbstbeherrschung begünstigt.
Reflektieren Sie einmal selbst: Wie häufig sind Ihnen solche Situationen schon begegnet? Wie sehr ruhen Sie in sich selbst und können im entscheidenden Moment innehalten und nachdenken? Wie gingen Sie bisher mit Leistungsdruck und Selbstbeherrschung um? Wann ist es Ihnen gut gelungen? Wann nicht?
Blicken wir noch einmal zu den Athleten der Olympischen Spiele. Um auf das erforderliche Leistungsniveau zu gelangen und überhaupt eine Chance zur Teilnahme zu bekommen, benötigen sie rund zehn Jahre und ca. 10.000 Trainingsstunden, Durchhaltevermögen und Resilienz. Das verdeutlicht uns schnell, dass der Umgang mit Leistungsdruck nicht aus dem Handgelenk zu schütteln ist und Selbstbeherrschung viel Übung erfordert.
Leistungsdruck im Arbeitsalltag
entsteht durch:
- Hetze
Ein Meeting und Telefonat jagt das andere, die Aufgaben und Herausforderungen häufen sich, Entscheidungen müssen zügig getroffen werde. Somit wächst der Druck, in kurzer Zeit Notwendiges zu erledigen und Anforderungen gerecht zu werden.
- Ungeduld
Wir wollen Probleme schnell lösen und Aufgaben erledigen, es geht jedoch nicht so recht voran. Anstatt einen Moment inne zu halten, durchzuatmen, Fragestellungen und Abläufe zu durchdenken, werden wir mit uns und dem Team ungeduldig. Oftmals wird die benötigte Zeit, zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen durch Ungeduld und Aktionismus noch erhöht.
- Aufschieben von unangenehmen, kniffeligen Aufgaben
Wer löst schon gern Aufgaben, die einem nicht von der Hand gehen und nicht zu den Kernkompetenzen gehören? Da ist die Versuchung groß, sich erst einmal den interessanten und angenehmen Themen zuzuwenden. Am Ende müssen die unliebsamen Aufgaben doch gelöst werden und dann meist unter Zeitdruck.
- Unzureichendes Durchdenken von Problemen und Lösungen
Dynamische und energetische Charaktere neigen dazu, sehr schnell die Dinge anzupacken und umzusetzen und greifen dabei auf ihren Erfahrungsschatz zurück. Dagegen spricht grundsätzlich nichts, wenn es sich um routinierte Abläufe handelt. Steht man jedoch vor neuen Herausforderungen, ist es sinnvoll, sich Zeit und Muße zum Durchdenken der Aufgabe und des Lösungsweges zu nehmen und eine Strategie der Vorgehensweis zu entwickeln. Das nimmt eine Menge Leistungsdruck.
- Strukturlosigkeit
Ohne Strukturen verzetteln wir uns schnell, verlieren den Überblick und geraten unter Druck. Gerade um Höchstleistungen zu erlangen und das Projekt oder den Mega-Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, ist eine gute Struktur und durchdachte Vorgehensweise unumgänglich. Nicht anders ist es bei den Hochleistungsathleten.
- Innerer und äußerer Druck, erfolgreich zu sein
Anspruch von außen, von Vorgesetzten und von uns selbst führt zu erhöhtem Leistungsdruck. Gerade der Wettbewerbsgedanke: „Ich muss gewinnen“ – die Goldmedaille oder das Geschäft - führt dazu, Gefahr zu laufen, im entscheidenden Moment die Nerven und die Selbstbeherrschung zu verlieren.
- Versagensangst
Die Angst, andere zu enttäuschen, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, Fehler zu machen und sich zu blamieren setzt enorm unter Druck und strapaziert die Nerven. Angst macht Selbstbeherrschung unmöglich.
Was können Sie tun, um Ihrem Leistungsdruck Stand zu halten?
- Organisation und Strukturen beherrschen
- Durchdenken, analysieren, vorausplanen und das große Ganze betrachten
- Methoden zu strukturiertem Denken und Handeln anwenden
- Disziplin üben
- Selbstsicherheit überprüfen
- Selbstwert im Blick behalten
- Flexibilität und schnelle Kopfarbeit trainieren
- Routiniert werden
- Worst case veranschaulichen:
Was kann im schlimmsten Fall passieren? Wie können Sie damit umgehen?
Entscheidungsprozesse und Verhandlungen können zäh und hochspannungsgeladen sein. Sie verringern Ihren Erfolgsdruck, in dem Sie analytisch die Vorgehensweise und einzelne Schachzüge durchdenken und planen. Das erfordert Zeit, die nicht in jeder Situation gegeben ist. Im Falle unserer Reiterin war sie nicht gegeben. Bei ihr war „multitasking“ gefordert: Die Signale des Pferdes aufnehmen und verstehen, ihre eigenen Empfindungen wahrnehmen, Konsequenzen eines Abbruchs bedenken, auf die Trainerin hören und derweil läuft die Zeituhr gegen sie. In Betrachtung der Fernsehbilder gewinne ich den Eindruck, dass sie geneigt war, aufzugeben und abzusteigen. Sie wurde jedoch von ihrer Trainerin angetrieben, weiterzumachen. Das war ein Fehler der Trainerin. So entsteht überaus viel Druck und eine Überforderung. Beides führt zu Misserfolg.
In der Wirtschaft, bei Verhandlungen haben wir eher die Chance, eine kleine Bedenkpause zu erbitten und sich kurz zurückzuziehen. Für Ad-hoc-Situationen wie im Wettkampf helfen Ihnen Ihre innere Haltung, Selbstsicherheit, Ihr Selbstbewusstsein, Ihre Erfahrung und Routine.
Selbstbeherrschung
Selbstbeherrschung gehört zu den Soft Skills und bezeichnet die Fähigkeit, unsere Impulse, Emotionen und Verhaltensweisen zu erkennen und zu steuern, um erfolgreich an unser Ziel zu kommen. Zudem befähigt sie uns, angenehm und gewinnend im Kontakt mit unserem Umfeld zu sein und auch dies ist ein Mosaikstein des Erfolgs. Grundlage der Selbstbeherrschung ist das Gefühl, frei und eigenverantwortlich für das eigene Handeln einzustehen. Fühlen wir uns unter Druck gesetzt und zu etwas gezwungen, kommt die Selbstbeherrschung leicht aus dem Gleichgewicht. Selbstbeherrschung genießt hohes gesellschaftliches Ansehen.
Eine Studie der Forscher Angela Duckworth und Martin Seligman der Universität Pennsylvania ergab, dass Selbstbeherrschung für den Erfolg oft wichtiger ist, als der Intelligenzquotient. Allerdings bedeutet dies auch, dass Selbstbeherrschung und Disziplin konstant trainiert werden sollten, sonst verkümmern sie – wie ein untrainierter Muskel.
Mit diesen Soft Skills verbessern Sie Ihre Selbstbeherrschung:
- Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein überprüfen und verbessern
- Empathie vertiefen
- Unvoreingenommenheit bewahren
- Flexibilität erhöhen – nicht etwas zwingen wollen
- Kommunikation verfeinern und verbessern
- Argumentationsfähigkeit trainieren
- Kritikfähigkeit erhöhen
- Disziplin üben
- Eigenmotivation und Konzentration verbessern
- Wahrnehmung und Achtsamkeit auf das Gegenüber schärfen
- Impulskontrolle und Selbstwahrnehmung trainieren
- Gelassenheit üben
- Selbstzweifel ausräumen und den Erfolg visualisieren
Körperlicher und geistiger Ausgleich sind wichtig, um diese Anforderungen bewältigen zu können. Hierzu gehören Meditation, meditative Sportarten wie Yoga, Qi Gong und Pilates ebenso wie gute Musik, ein gutes Buch oder selbstzubereitete kulinarische Genüsse. Warum? Meditation und meditative Sportarten oder Tätigkeiten verändern die Funktion und Struktur des Gehirns und unterstützen die Selbstbeherrschung, so eine Studie.
Fazit
So wie die Trainerin die Reiterin zusätzlich angetrieben und damit den Druck erhöht hat, was zum Gegenteil des gewünschten Ergebnisses führte, so sollten auch Führungskräfte Mitarbeitende, die bereits unter Druck stehen nicht immer weiter antreiben oder kritisieren. In beiden Fällen verschlimmert es die Lage. Die Atmosphäre im Unternehmen kann großen Einfluss darauf haben, wie Leistungsdruck wahrgenommen wird und wie sehr die Mitarbeitenden unter Stress geraten. Je mehr Leistungsdruck, desto größer die Gefahr, die Selbstbeherrschung zu verlieren und Aufgaben und Erfolge in den Sand zu setzen. Daher braucht es umsichtige Führungskräfte, die das Problem erkennen und mit den Betroffenen geeignete Lösungen finden, um den Leistungsdruck handhabbar zu machen.
Für jeden Einzelnen gilt, einen persönlichen Weg zu finden, mit Leistungsdruck umzugehen, die Selbstbeherrschung zu trainieren und zu erhöhen. Dies gelingt leichter mit einem Sparringspartner. Gemeinsam wird herausgefunden, wann Leistungsdruck positiv ist und wann er sich ins Negative verkehrt, um entsprechende Hilfsmittel zu finden, die Balance zu bewahren.
Soft Skills sind erlern- und trainierbar, so auch die Selbstbeherrschung. Auch hier werden kritische Situationen analysiert, persönliche, gangbare Wege gefunden und Lernprozesse angestoßen und begleitet, um sich in den notwendigen Fähigkeiten zu verbessern.
Sie suchen einen Sparringspartner, der dies mit Ihnen gemeinsam erarbeitet? Dann schreiben Sie mir eine E-Mail und wir vereinbaren ein erstes unverbindliche Kennenlerngespräch: B@Balogh-Business.de